Frühgeburtlichkeit
Allgemeines:
- Von Frühgeburtlichkeit spricht man bei einer Geburt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche
- Ursächlich beteiligt sind u.a. vorzeitige Wehen, vorzeitiger Blasensprung, Amnioninfektionssyndrom, Mehrlingsschwangerschaften, Plazentalösungen, EPH-Gestosen, etc.
Frühgeburtlichkeit ist durch die Unreife der kindlichen Organsysteme mit einer Reihe von Erkrankungen assoziiert die im folgenden beschrieben werden:
Atemnotsyndrom:
- Syn. Respiratory distress syndrome (RDS)
- Bis zu 60% der Frühgeborenen <30 SSW erkranken an einem RDS. Es stellt die häufigste Todesursache Frühgeborener dar
- Ursache ist ein Mangel an Surfactant, welches die Oberflächenspannung der Alveolen reduziert und dadurch einen exspiratorischen Kollaps der Lungenalveolen verhindert. Dies führt zu diffusen Atelektasen, pulmonaler Vasokonstriktion und alveolärer Minderbelüftung. Der Surfactant besteht überwiegend aus Phospholipiden (u.a. Lecithin = Dipalmitoylphosphatidylcholin) sowie Apoproteinen
- Der Reifezustand der Lunge eines Neugeborenen kann durch Bestimmung des L/S-Quotienten (Lecithin / Sphingomyelin) im Fruchtwasser ermittelt werden, da der Sphingomyelingehalt des Fruchtwassers während der Schwangerschaft konstant bleibt
- Eine weitere Ursache für das Atemnotsyndrom des Neugeborenen ist die Ausbildung von hyalinen Membranen in den Alveolen durch die gesteigerte Permeabilität der Alveolarwand für Proteine
- Ab der 35. SSW ist die Surfactantbildung i.d.R. ausreichend, davor kann die Lungenreifung bei drohender Geburt durch Gabe von Dexamethason oder Betamethason beschleunigt werden
- Klinik: Tachypnoe, Einziehungen, Nasenflügeln, abgeschwächtes Atemgeräusch, blaß-graues Hautkolorit oder Zyanose
- Im Röntgenbild zeigt sich eine zunehmende Verdichtung des Lungenparenchyms bis hin zur "weißen Lunge"
- Komplikationen: Pneumothorax, Pneumomediastinum, Hautemphysem
- Therapie:
- O2-Zufuhr, möglichst mit CPAP (Continuos positive airway pressure), entweder über einen Nasen-CPAP oder durch Intubation. Aufgrund der O2-bedingten Langzeitschäden sollte die Sauerstoffzufuhr so gering wie möglich sein
- Surfactant-Substitution
Persistierender Ductus Arteriosus (PDA):
- Bei Frühgeborenen kommt es vermutlich mitbedingt durch einen erhöhten Prostaglandin E2-Spiegel gehäuft zu einem unvollständigen Verschluß des Ductus arteriosus Botalli mit konsekutivem rechts-links-Shunt aufgrund des erhöhten pulmonalen Gefäßwiderstands durch das RDS
- Bei Besserung des RDS und Abfall des pulmonalarteriellen Widerstands kann es zu einer Shunt-Umkehr mit links-rechts Shunt kommen. Dies kann zu einem Lungenödem und akuter kardialer Insuffizienz führen
- Klinik: Systolisches, gelegentlich kontinuierliches Herzgeräusch, Tachykardie, Pulsus celer et altus, schlechte Beatmungssituation, evtl. feinblasige Rasselgeräusche, Zirkulationsstörungen
- Diagnose: Farbdoppler-Echokardiographie
- Therapie: Indometacin als Prostaglandinsynthesehemmer, operativer Verschluß
Bronchopulmonale Dysplasie (BPD):
- Die bronchopulmonale Dysplasie ist das Ergebnis der neonatalen Lungenunreife (Surfactantmangel, Sauerstoffdetoxifikation, Epithelregeneration, etc.) sowie dem Einwirken multipler Noxen (O2-Zufuhr, mechanisches Beatmungstrauma, Infektionen, pulmonale Hyperperfusion bei PDA, etc.). Dies führt zu einer Entzündungsreaktion und dadurch zu einer gestörten Lungenentwicklung mit Ausbildung von diffusen Atelektasen, interstitieller Lungenfibrose und Lungenemphysem
- Klinik: Schwere Entwöhnung von der maschinellen Beatmung, persistierende Atemnot mit anhaltendem O2-Bedarf, kardiopulmonale Instabilität mit Bradykardien und Sättigungsabfällen
- Röntgen: Fleckig-streifige Verdichtungen und zystisch-emphysematöse Aufhellungen
- Prävention: Frühzeitige Behandlung eines Atemnotsyndroms oder eines PDA, so wenig maschinelle Beatmung wie möglich, Vermeidung von Hypervolämien, ausreichende Ernährung, frühzeitige antibiotische Therapie von Infektionen
- Therapie: Diuretika, Dexamethason, Bronchodilatatoren, O2, RSV-Hyperimmunglobulin während der Wintermonate
Retinopathia Praematurorum (ROP):
- 80% aller Kinder unter 1000g Geburtsgewicht entwickeln eine ROP
- Ursächlich beteiligt sind neben der Unreife eine Hyperoxie, beatmungsbedingte Hypokapnie, Hyperkapnie, Hypotension, Apnoen oder ein PDA
- Es kommt zu einer ausgeprägten Neovaskularisation mit Einwachsen von Gefäßen in den Glaskörper, Blutungen und Ödembildung. Narbige Kontraktionen führen zu einer Ablösung der Netzhaut
- Prävention: Überwachung der O2-Therapie durch transkutane Messung des Sauerstoffpartialdrucks (pO2<80mmHg). Vermeidung von Hyperoxien, Zufuhr von Vitamin E
- Therapie: Unterbindung der Gefäßneubildung durch Laser- oder Kryotherapie
Intrazerebrale Blutungen (ICH):
- Die meisten Hirnblutungen treten im Bereich der germinalen Matrix auf, einer subventrikulären Zone über dem Kopf des Nucleus caudatus (Wer noch nie was davon gehört hat: Circa ab der 36. SSW kommt es zur Involution dieses Gewebes aus dem zuvor Neuro- und Glioblasten zur Hirnoberfläche wandern. Bei Erwachsenen gibt's das also nicht mehr)
- Die Blutungen lassen sich je nach Ausdehnung in Grad 1 - Grad 4 Blutungen einteilen: Subependymale Hämorrhagie, intraventrikuläre Hämorrhagie, Dilatation des Ventrikels bei intraventrikulärer Hämorrhagie und intraparenchymale Hämorrhagie mit hämorrhagischer Infarzierung. Die Parenchymblutung ist hierbei Folge der massiven Ventrikelblutung
- Ursächlich beteiligt an den Blutungen in die germinale Matrix sind neben deren erhöhter Vulnerabilität, zerebrale Hypo- und Hyperperfusionen, Chorioamnionitiden und vorübergehende Ischämien in der germinalen Matrix, welche ein Grenzgebiet der arteriellen Blutversorgung darstellt
- Es kann zu einer Zerstörung der germinalen Matrix, sowie zur Entwicklung eines posthämorrhagischen Hydrozephalus kommen
- Klinik: Blaß-graues oder marmoriertes Hautkolorit, respiratorische Verschlechterung, Kreislaufstörungen, Krampfanfall, gespannte Fontanelle, muskuläre Hypotonie. Die meisten Hirnblutungen treten innerhalb von 48h nach der Geburt auf
- Diagnose: Sonographie
- Therapie: Symptomatisch
- Prognose: Bei Grad 1 und Grad 2 Blutungen noch relativ gut, bei Grad 3 und vor allem Grad 4 Blutungen muß mit neurologischen Spätschäden gerechnet werden. Die typische Konsequenz einer unilateralen Hirnblutung ist die spastische Hemiparese
Periventrikuläre Leukomalazie (PVL):
- Fokale Nekrosen mit zystischer Umwandlung von weißer Substanz lateral der Seitenventrikel
- Sie ist bedingt durch Ischämien in Grenzgebieten der vaskulären Versorgung durch die Aa. cerebri anterior und media bzw. media und posterior und tritt damit i.d.R. symmetrisch auf ("Letzte Wiesen", "Wasserscheideninfarkt")
- Bedingt werden diese Nekrosen durch die spezielle cerebrovaskuläre Architektur in diesem Bereich, eine erhöhte Vulnerabilität der weißen Substanz sowie cerebrale Ischämien durch z.B. maternale Blutungen, Chorioamnionitis, geburtshilfliche Komplikationen, PDA, Apnoen, Sepsis, etc.
- Klinik: Bei Neugeborenen ist die PVL meist noch nicht symptomatisch. Später kann sich eine beinbetonte spastische Diplegie entwickeln. Die Ausprägung der Symptomatik ist dabei sehr unterschiedlich
Apnoen:
- Aufgrund einer Unreife der zentralen Steuerung kommt es bei Frühgeborenen auch bei Fehlen sonstiger Erkrankungen regelmäßig zu Apnoen, Bradykardien und Hypoxämien. Bei zu langer Dauer sind diese wegen der Gefahr von ischämischen Hirnläsionen oder einer ROP behandlungsbedürftig
- Davon abgegrenzt werden müssen symptomatische Apnoen bei einer vorliegenden Grunderkrankung (v.a. Sepsis)
- Von einer Apnoe spricht man bei einer Atempause von mehr als 20 sek. Dauer oder einer Atempause mit begleitender Bradykardie (HF<80) oder Hypoxämie (SO2<80%)
- Diagnose: Die gleichzeitige Messung von thorakaler und nasaler Atmung, O2-Sättigung und Herzfrequenz ermöglicht eine Differenzierung von zentraler, obstruktiver oder gemischter Apnoe
- Therapie: Taktile Stimulation, Methylxanthine (Coffein), Doxapram, Nasen-CPAP, geringe O2-Zufuhr, Intubation und maschinelle Beatmung